23.11.2022, Lüneburger Landeszeitung:
Das Engagement in der Bürgerinitiative erhält eine Auszeichnung
Wirtschaft, 03.06.2022
Mineralwasser
Druck in der Leitung, von Uwe Ritzer
Es ist ein warmer, sonniger Frühlingsabend, doch die Menschen drängeln sich nicht unter den Bäumen im Biergarten am Ufer der Altmühl, sondern in der angrenzenden Stadthalle von Treuchtlingen. Die Firma Altmühltaler Mineralbrunnen hat eingeladen und das an sich ist schon etwas Besonderes. Jahrzehntelang hielt es der Mineralwasser- und Limonadenhersteller nur in Ausnahmefällen für nötig, über sich und sein Tun öffentlich zu reden. Warum auch? Die Geschäfte gediehen prächtig, der verschachtelte Konzern der Familie Schäff wuchs zu einem der größten Mineralwasserlieferanten im deutschen Einzelhandel, bevorzugt mit Billigwasser für Discounter. Politik und Behörden erfüllten Altmühltaler ohnehin jeden Wunsch und der Rohstoff Wasser war stets reichlich vorhanden. Und ziemlich billig.
Nun aber herrscht Gesprächsbedarf. Das Unternehmen will an seinem Stammsitz im bayerischen Treuchtlingen nach neuen Vorkommen suchen, die qualitativ gut genug sind, um als Mineralwasser verkauft zu werden. Altmühltaler vermutet sie ziemlich nahe an der Erdoberfläche und hat bei den Behörden Probebohrungen beantragt. Das beunruhigt viele Menschen vor Ort und macht sie misstrauisch. Bereits 2019 wollte Altmühltaler zusätzlich zu den erlaubten 650 000 Kubikmetern jährlich weitere 300 000 Kubikmeter fördern. Dabei ging es um 10 000 Jahre altes Tiefengrundwasser. Die Firma und die Stadt Treuchtlingen trieben die Pläne heimlich voran. Als sie bekannt wurden, war nicht nur die Empörung über die Geheimniskrämerei groß, sondern es setzte auch eine Grundsatzdebatte ein: Darf eine Privatfirma Profit damit machen, in dem sie reinstes Tiefengrundwasser über Discounter verramscht? Wasser, besonders reines noch dazu, das doch der Allgemeinheit gehört?
Bislang interessierten solche Fragen bestenfalls Fachleute. Deutschland ist schließlich ein nasses Land, mit Wasser mehr als genug. Für die Industrie, zum Baden, Autowaschen, Gartengießen, für Haushalt und Toilettenspülung – und ja, natürlich auch zum Trinken. Die etwa 200 Mineralbrunnen hierzulande, meist überschaubare Familienunternehmen, konnten stets aus dem Vollen schöpfen und ihre Wässerchen und Limonaden als Selbstverständlichkeiten verkaufen, ohne vom Radar der kritischen Öffentlichkeit erfasst zu werden. Nun aber stehen sie mit dem Rücken zur Wand. Der Druck kommt von mehreren Seiten.
In immer mehr Regionen droht Wassernot
Spätestens seit den Hitzesommern 2018, 2019 und 2020, als mancherorts öffentliche Brunnen versiegten und Tanklastzüge ganze Gemeinden mit Trinkwasser versorgen mussten, sind viele Menschen sensibilisiert – und beunruhigt. Denn viele Grundwasser-Pegelstände sinken, längerfristig droht in immer mehr Regionen Wassernot. Landwirte und Waldbesitzer klagen bereits über zu wenige Niederschläge und zu trockene Böden. Mancherorts führen Seen, Teiche, Bäche und Flüsse weit weniger Wasser als früher. Alles Folgen der Erderwärmung, sagen Klimaschützer. Der Gesetzgeber reagiert, was vor allem die Mineralwasserindustrie trifft. Garantierte Entnahmerechte über 20 oder 30 Jahre, die bislang üblich waren, gibt es nicht mehr. Neuerdings stehen sie unter dem Vorbehalt, dass die Behörden den Firmen bei Trockenheit jederzeit den Hahn zudrehen können, von heute auf morgen. Im Zweifel hat die öffentliche Wasserversorgung Vorrang.
Obendrein raten Politiker und Umweltschützer den Menschen, doch lieber gleich Leitungswasser zu trinken. Das zeigt Wirkung; die Deutschen kaufen seit Jahren immer weniger Mineralwasser. 2021 sank der statistische Pro-Kopf-Verbrauch von 169,2 auf 157,6 Liter. Profiteure von alledem sind die Hersteller von Sprudelsystemen und Geschmackszusätzen. Immer mehr Menschen trinken Leitungswasser, das sie mit Sprudel und Aromen aufpeppen. Die globalen Getränkeriesen haben diesen Trend längst als lukratives Geschäft identifiziert, weshalb dem US-Konzern PepsiCo allein die Übernahme des israelischen Herstellers Sodastream knapp drei Milliarden Euro wert war.
Es ist ein formidabler Verteilungskampf, der sich verschärft und bei dem die Mineralwasserfirmen in die Defensive geraten sind. Beispiel ist Lüneburg, wo massive Bürgerproteste dazu beitrugen, dass Coca-Cola den Plan eines Brunnens aufgab und damit auf 350 000 zusätzliche Kubikmeter Wasser pro Jahr verzichtete. Altmühltaler musste 2019 schlucken, dass das bayerische Umweltministerium die Mehrentnahme von Tiefengrundwasser verweigerte, zum ersten Mal in der Firmengeschichte. Aufseiten der Mineralbrunnen wächst die Verunsicherung. So investierte die Haaner Felsenquelle erst einmal doch keine zwölf Millionen Euro in eine neue Abfüllanlage. Die von den Behörden nur mit Vorbehalten gewährten Entnahmerechte waren ihr zu unsicher.
Fast schon verzweifelt sucht die Mineralwasserbranche nach Wegen, um die für sie negativen Trends zu stoppen und ihre Akzeptanz in der Gesellschaft zu erhöhen. Bei einer Fachtagung in Berlin schwor der Verband Deutscher Mineralbrunnen (VDM) seine Mitglieder auf das Thema Nachhaltigkeit ein: Bis 2030 will die Branche klimaneutral arbeiten. Die neuen Werbeslogans zielen auf Öko-Mainstream und Gesundheitsnutzen: „Hier sprudelt die Natur“, heißt es da, Mineralwasser sei ein „wertvolles Naturprodukt“. Auch was Transportwege, Verpackungen oder Energieeffizienz angehe, arbeite man vorbildlich. Im Übrigen: Hätten nicht gerade Corona und der Ukraine-Krieg gezeigt, wie wichtig eine nationale Versorgung mit überlebenswichtigen Ressourcen ist? Am Rande der Tagung wirft VDM-Präsident Karl Tack die Frage auf, warum eigentlich alle auf den Mineralwasserfirmen herumhackten. Über die „maroden Leitungen“ der öffentlichen Versorger versickere jährlich ein Vielfaches mehr Wasser als es die Mineralbrunnen verkauften.
Die Branche ist in der Defensive und in Erklärungsnot. Das wird auch an jenem Frühlingsabend in Treuchtlingen deutlich. War der Firma Altmühltaler die öffentliche Meinung bislang egal, sucht Geschäftsführer Alexander Pascher nun den Schulterschluss mit der Bevölkerung. „Ich bin selbst Treuchtlinger“, sagt er und wirft die Frage in den Saal, ob tatsächlich jemand ernsthaft glaube, dass er als solcher die Stadt austrocknen wolle. Im Übrigen wäre das doch nicht nur ökologischer, sondern auch unternehmerischer Unsinn. Pascher verspricht den Treuchtlingern, wenn die Probebohrungen genehmigt werden und erfolgreich seien, werde Altmühltaler das Mineralwasser künftig aus diesen oberflächennahen Schichten entnehmen und das Tiefengrundwasser nicht mehr antasten. Obendrein wolle man bis zu 100 Millionen Euro in neue Abfüllanlagen am Rande Treuchtlingens investieren und jene in der Stadtmitte schließen. Dort beklagen Anwohner den enormen Schwerlastverkehr.
Vorher allerdings musste Altmühltaler einen Tiefschlag verkraften. Die Firma beliefert Edeka und Netto nicht mehr, man wurde sich über Preisanpassungen mit Blick auf gestiegene Rohstoff- und Transportkosten nicht einig. Stattdessen ließen die beiden Einzelhandelsriesen Mineralwasser „jetzt zum Teil aus Frankreich herankarren“, sagt Pascher. „Von der ökologischen Gesamtbilanz ein Wahnsinn.“ Über Proteste dagegen ist nichts bekannt.
Anmerkung: Ein kleiner, aber bedeutender (!) Fehler hat sich im Artikel eingeschlichen: Statt der Maßeinheit „Liter“ muss es „m³“ heißen. Dadurch entsteht ein Fehler um den Faktor 1000. Der wirkliche Wasserverlust ist also 1000-fach größer als in der Überschrift vermerkt.